Plenarrede zum Problem des Antisemitismus
Plenarrede zum CDU-Antrag »Keine Förderung für Hetzer: Klares Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und zum Existenzrecht Israels in den Förderanträgen des Landes Berlin verankern!«
Frau Präsidentin,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
der Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden. Diese Formulierung stammt von Theodor W. Adorno und macht klar, worum es bei diesem Phänomen geht. Gerüchte sind Geschichten, die weitergeflüstert werden, die sich der Überprüfung entziehen, die aber wissenschaftliche Erkenntnisse in Zweifel ziehen. Gerüchte über Menschen oder Menschengruppen haben ein Ziel, nämlich diese Menschen oder Menschengruppen zu denunzieren und ihnen zu schaden.
Mobbingprozesse basieren ganz wesentlich auf Gerüchten. Antisemitismus ist Mobbing auf gesamtgesellschaftlichem Niveau. Gewalt inbegriffen.
Deutlich wird das zum Beispiel an den zahlreichen Verschwörungstheorien und -gerüchten, die mit antisemitischen Vorurteilen eine innere Verbindung eingehen.
Besonders treffend finde ich Adornos Aphorismus – das nur nebenbei – auch vor dem Hintergrund, dass es heute mit den sog. sozialen Medien ein neues Gerüchtemedium gibt, das all dies nun ungefiltert in die Öffentlichkeit bringt. Ich fürchte allerdings, dass man mit einer Verbots- und Kontrollmentalität nur wenig weiterkommen wird.
Der Antisemitismus heute, das zeigt uns eine gründliche sozialwissenschaftliche Forschung, ist ein ausgesprochen vielfältiges Phänomen. Man spricht von einem »Antisemitismus nach Auschwitz«, d.h. Formen strukturell antijüdischer oder antizionistischer Haltungen, die sich auf die antisemitisch motivierte industrielle Massentötung von Menschen jüdischer Herkunft während der nationalsozialistischen Herrschaft bezieht und diesen Zivilisationsbruch relativiert, verharmlost, klein redet oder sogar noch den Juden zum Vorwurf macht.
Ein aktuelles Beispiel für die Verharmlosungsstrategie ist die unsägliche Einlassung des AfD-Bundesvorsitzenden Gauland, der »Hitler und die Nazis« als einen, so wörtlich, »Vogelschiss in unserer über 1000-jährigen Geschichte« meinte darstellen zu müssen.
Das ist im Übrigen schon sehr nahe bei dem sogenannten sekundären Antisemitismus, also einem Antisemitismus nicht trotz, sondern wegen Auschwitz.
Zu den Formen unsäglicher Umschuldungs- und Lastenausgleichs-Strategien gehören auch antizionistische Vorurteile, die das Existenzrecht Israels bestreiten oder Aspekte israelischer Politik und Geschichte mit der nationalsozialistischen parallelisieren. Besonders verbreitet ist zum Beispiel die Rede von den »Opfern der Opfer«, eine Art Lastenausgleichsstrategie, die mit notorischer Beharrlichkeit Analogien zwischen israelischer Politik und nationalsozialistischer Vernichtungspolitik herzustellen suchte und herzustellen sucht. Die Bandbreite der Beispiele ist lang und nicht nur in rechten, sondern manchmal auch in linken Kreisen anzutreffen.
Ich finde alle diese Varianten antisemitischen Umschuldens, Relativierens und Aufrechnens schlicht widerlich.
Besonders abstoßend finde ich die Strategie, den zweifellos im arabischen Raum verbreiteten Antisemitismus pauschal zu einem Herkunftsproblem von Migranten aus diesem Raum zu erklären. Antisemitismus ist in allen seinen Varianten keine »Volks«- oder »Kultur«-Eigenschaft, sondern Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse. Perfide ist, dass Juden zum bloßen Sündenbock und zur Projektionsfläche für alle möglichen Wutgefühle gemacht werden, die aus gesellschaftlichen Verhältnissen resultieren können. Dass aber Rassismus nicht die Antwort auf Antisemitismus sein kann, dürfte offensichtlich sein. Genau diese Strategie wird aber verfolgt, wenn Menschen pauschal und qua Herkunft zu antisemitischen Risikoträgern erklärt werden. Ich meine damit die Damen und Herren von der AfD, die diese Strategie bei jeder sich bietenden Gelegenheit verfolgen. Es ist perfide, die Verfolgungsgeschichte unter der Juden immer wieder zu leiden hatten, wiederum für Zwecke gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu instrumentalisieren. Das wird auch dem Antisemitismus nicht abhelfen, denn es handelt sich ja um eine Strategie, die ihn braucht, die auf ihn angewiesen ist.
Wer gegen Antisemitismus vorgehen will, muss sich gegen Kollektivkategorien wenden, das Individuum stärken und Diskurskompetenzen fördern, die auf dem Austausch von Argumenten beruhen. Das Denken in Kollektivkategogien, Geschichtsklitterung und Verführung durch das Appellieren an niedere Gefühle das Gegenteil dessen.
Das Anliegen, dass dem Antrag der CDU zugrunde liegt, finde ich aus den genannten Gründen wichtig. Ob das von der CDU vorgeschlagene Verfahren, bei der Vergabe von Fördermitteln ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels zu verlangen, das richtige ist, um das angestrebte Ziel zu erreichen, antisemitische Netzwerke zumindest von öffentlichen Fördergeldern fern zu halten, scheint mir allerdings fraglich. Wenn es am Ende eine zahnlose Norm wird, macht das die Sache nicht nur nicht besser, sondern eher schlechter. Insbesondere wenn eine solche Vorschrift als eine Art Vorzensur wahrgenommen wird, kann dies einer Aufklärung über Antisemitismus und Antizionismus auch nicht förderlich sein. Wir werden das Thema in den zuständigen Ausschüssen intensiv beraten – gerade auch im Hinblick auf seine Wirksamkeit – und zu einer adäquaten Lösung kommen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
[Das gesprochene Wort kann vom Manuskript abweichen.]
Quellen:
Theodor W. Adorno (1951): Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt am Main: Suhrkamp.