Meine letzte Rede im Abgeordnetenhaus: Zum FDP-Antrag „Die Zukunft des Einzelhandels gestalten“ (16.9.2021)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Über diesen FDP-Antrag haben wir heute vor vier Wochen bei der ersten Lesung bereits ausführlich debattiert und auch im Wirtschaftsausschuss in dieser Woche die Argumente noch einmal ausgetauscht. Neue Erkenntnisse haben sich meines Erachtens aber nicht ergeben.

Es bleibt dabei, dass die FDP in einer bemerkenswert dirigistischen Formulierung fordert, die „Zukunft des Einzelhandels zu gestalten“, was normalerweise eigentlich Aufgabe der Unternehmen und ihrer Verbände sein sollte.

Doch wer nun gehofft hat, die FDP erkenne endlich die wichtige Rolle des Staates bei der Gestaltung der städtischen Infrastruktur und in der Daseinsvorsorge, sieht sich bei Lektüre der einzelnen Vorschläge doch enttäuscht. Unbestritten ist für die Lebensqualität in den Kiezen ein gut erreichbares Angebot an Waren und Dienstleistungen ebenso entscheidend wie soziale und medizinische Infrastruktur, und auch kulturelle Angebote dürfen nicht fehlen!

Doch die FDP kümmert es überhaupt nicht, wenn Einzelhandel, soziale oder kulturelle Einrichtungen unter der Last überhöhter Gewerbemieten in den Innenstädten zusammenbrechen und verdrängt werden – denn das Recht auf grenzenlose Profite der Vermieter steht ja für diese Partei unangefochten an erster Stelle.

Daher kommt die FDP nun stattdessen mit ihren alten Kamellen wie der völligen Freigabe der Ladenöffnungszeiten auch am Sonntag oder ihrer rückwärtsgewandten Verkehrspolitik einer autogerechten Stadt –  so als wäre ein Einkauf ohne Auto überhaupt nicht denkbar. Und der wirklich eigenartige Vorschlag, die Definition für ‚Großflächigen Einzelhandel‘ von 800 auf 1200 Quadratmeter vergrößern zu wollen, trägt ganz sicherlich nicht dazu bei, die Innenstädte als Standorte für den Einzelhandel zu stärken, sondern setzt kleinere Geschäfte zusätzlichem Druck aus.

Wir werden daher der Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses folgen und den Antrag hier ablehnen!

 

Für mich ist dies nun die letzte Rede in diesem Parlament. Über vier Legislaturperioden hatte ich die Ehre, dem Berliner Abgeordnetenhaus anzugehören –  viermal direkt gewählt durch die Bürgerinnen und Bürger in meinem Wahlkreis im Herzen der City-West, deren Interessen ich hier vertreten durfte.

Ich erinnere mich noch an meine erste Rede 2002 in diesem Hohen Haus, in der es um die Konzepte der Hartz-Kommission ging, die gerade in der Öffentlichkeit vorgestellt worden waren. Noch nichts war in Gesetze gegossen und ein Begriff wie „Hartz IV“ noch fern. Dieses Beispiel führt aber vor Augen, wie sich die Einschätzungen und Erfahrungen im Laufe eines längeren Prozesses wandeln können und jede Zeit ihre eigenen Antworten und manchmal auch Korrekturen erfordert!

Jede meiner vier Legislaturperioden war anders – und drei verschiedene Konstellationen habe ich in den zwanzig Jahren als Mitglied der jeweiligen Regierungskoalition miterlebt. Auch hier habe ich die Erfahrung gemacht, dass Dinge in der Praxis oft anders aussehen, als vorab manchmal gedacht, und die Zusammenarbeit in einer Koalition , die vielleicht vorher als gar nicht so naheliegend erschienen war, gut funktionieren kann, während eine Wunschkoalition sich im täglichen Kleinklein auch als mühsam erweisen kann.

Ich hatte in den zurückliegenden zwanzig Jahren ein gutes Verhältnis zu Kolleginnen und Kollegen aus allen demokratischen Fraktionen. Übrigens saß ganz rechts, von hier aus gesehen, nur in dieser Legislaturperiode eine Partei, die auch politisch dorthin gehört. In der vorigen Wahlperiode saßen dort noch die Piraten mit ihren oft spaßigen Einfällen, und auch in den zehn Jahren 2001 bis 2011 saß dort eine Spaßpartei, als die sich die FDP unter ihrem damaligen Fraktionsvorsitzenden nämlich oft darbot. Insofern ist der hier zur Debatte stehende FDP-Antrag, um darauf noch einmal kurz zurückzukommen, schon ein Fortschritt: Der Spaßcharakter des Antrags erschließt sich nicht gleich auf den ersten Blick, sondern erst bei genauerer Lektüre der Vorschläge.

Aber Spaß beiseite – ich stehe hier und kann doch anders! In Zukunft werde ich mich an anderer Stelle politisch weiter einbringen und hoffentlich auch Zeit für mir wichtige Dinge finden, die in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten vielleicht etwas kurz kamen. Insofern scheide ich mit einem weinenden, aber auch einem ziemlich lachenden Auge. Es waren gute zwanzig Jahre, in denen wir unter den Regierenden Bürgermeistern Klaus Wowereit und Michael Müller viel für Berlin erreichen konnten. Gerade in meinen beiden Schwerpunktgebieten Wirtschaft und Kultur steht Berlin doch national wie international ganz anders da, als noch zu Beginn des Jahrhunderts –  und auch der Einschnitt durch Corona in den letzten anderthalb Jahren wird hoffentlich bald überwunden sein.

Ich bedanke mich ganz herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, natürlich insbesondere auch meiner Fraktion, sowie bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses, die mir stets freundlich und kompetent begegnet sind!

Auf ein Wiedersehen hier und andernorts!