Ein Besuch auf dem EUREF-Campus

Der EUREF-Campus in Schöneberg ist einer der elf Berliner Zukunftsorte, in denen Wirtschaft, Wissenschaft und Technologieentwicklung Hand in Hand arbeiten. Vor dem Hintergrund von Energiewende und Nachhaltigkeit ist diese Trias von besonderer Bedeutung, weshalb ich mir einen persönlichen Überblick verschaffen wollte.

Der EUREF-Campus mit dem Gasometer als Wahrzeichen. Im Vordergrund sind zahlreiche Ladesäulen von Tesla zu sehen.
Foto: Frank Jahnke

Der EUREF-Campus rund um den Gasometer in Schöneberg wird seit 2008 von dem Architekten Reinhard Müller auf einem früheren Gelände der GASAG entwickelt. Berliner Zukunftsorte zeichnen sich meist durch bestimmte inhaltliche Schwerpunkte aus. Die am EUREF-Campus ansässigen Unternehmen und Wissenschaftsinstitutionen befassen sich mit dem Themenfeld Mobilität, Energiewende und Klimaschutz und sind damit ein wichtiger Impulsgeber für den notwendigen Wandel, in dem sich unsere Gesellschaft befindet. Doch wird am EUREF-Campus nicht nur in Richtung nachhaltiger Zukunft gedacht und entwickelt, sondern die Infrastruktur selbst ist nachhaltig konzipiert und erfüllt die Klimaziele 2050 bereits seit 2014. Auf dem Gelände sind aktuell rund 150 Start-ups und Forschungsunternehmen ansässig, rund 5000 Beschäftigte finden hier Arbeit.

Das weithin sichtbare Wahrzeichen des EUREF-Campus ist der Gasometer, der über 80 Jahre lang als Niedrigdruck-Gasbehälter für die Berliner Energieversorgung diente, bis er 1995 stillgelegt und 2008 von der EUREF AG übernommen wurde. Die Zwischennutzung durch die Talk-Show von Günther Jauch in den Jahren 2011 bis 2015 machte den Gasometer auch bundesweit bekannt. Hierfür hatte EUREF-Chef Reinhard Müller die frühere »Bundestagsarena«, in der während der Fußball-WM 2006 ein Public Viewing der Spiele vor dem Reichstagsgebäude stattfand, in den Gasometer versetzen lassen. Inzwischen wurde diese, nun als »Jauch-Kuppel« bekannte Arena aber wieder ausgebaut und nach Düsseldorf geschafft, wo ein zweiter EUREF-Campus am Entstehen ist.

Der Gasometer soll nun noch besser in das ökonomische Biotop des Campus integriert werden. Derzeit laufen Verhandlungen über einen Ausbau, der es ermöglichen soll, das Industriedenkmal im Sinne des o. g. EUREF-Leitbilds erneut wirtschaftlich erfolgreich zu nutzen. Vorgesehen sind nicht nur moderne Büros, sondern auch ein zentraler Veranstaltungsort im Erdgeschoss sowie eine allgemein zugängliche Aussichtsplattform, durch die eine Erlebbarkeit des Denkmals sichergestellt wird. Wenn alles gut geht und eine Einigung mit dem Bezirk über die Ausbauhöhe erreicht werden kann, wird die Deutsche Bahn mit ihrer Sparte »Digitale Schiene« hier einziehen. Damit würden 2000 Menschen am EUREF Campus einen sicheren Arbeitsplatz finden, 800 Arbeitsplätze davon möchte die Bahn neu schaffen.

Reinhard Müller erläutert die Pläne für den Gasometer.
Foto: Dierk Spreen

Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Planungen zum Ausbau eingehalten werden können. Im Bezirk gibt es Stimmen, die sich einen niedrigeren Ausbau wünschen, um das angeblich vertraute Erscheinungsbild eines nicht bis oben gefüllten Gasometers zu erhalten. Wie historische Fotos belegen, variierte der Füllzustand des Gasometers allerdings ständig – oft eben auch bis zum oberen Rand. Bei meinem Besuch sprach ich mit dem Vorstandsvorsitzenden der EUREF AG, Reinhard Müller, der mich über den Stand der Planungen informierte. Hiernach ist ein Ausbau bis zum vorletzten Ring des Gasometers geplant und darüber die Aussichtsebene, die sinnvollerweise auch oben sein sollte. Die denkmalgeschützte Stahlkonstruktion hätte im Übrigen durch eine »Haus-in-Haus-Lösung« auch keine Berührung zu dem geplanten Einbau, der eigenständig im Gasometer Platz fände.

In Fachkreisen der Industriekultur besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass der dauerhafte Erhalt eines Industriedenkmals ökonomisch nur zu gewährleisten ist, wenn nicht bloß einfach ein Schild mit der Aufschrift »Denkmal« daran befestigt wird, sondern auch eine weitere Nutzung des Denkmals stattfindet. Die vorgesehene Mischnutzung für eine nachhaltige Mobilität, Veranstaltungsmöglichkeiten und ein für alle Berlinerinnen und Berliner sowie für den Tourismus offen zugängliches und erlebbares Denkmal erscheint hierfür fast idealtypisch.

Sich gegen eine solche Nutzung und damit auch gegen mehrere hundert neue, vor allem gute und qualifizierte Arbeitsplätze aus vorgeblich ästhetisch-konservativen Gründen zu wehren, ist nicht nachvollziehbar – erst recht nicht, wenn man bedenkt, dass der Berliner Arbeitsmarkt nach Corona erheblichen Belastungen ausgesetzt sein wird und wir für jeden neu geschaffenen und klimaneutral gestalteten Arbeitsplatz dankbar sein können!

Ein weiterer Schwerpunkt meines Besuchs auf dem EUREF-Campus war dem Thema Wasserstofftechnologie gewidmet. Die Deutsche Energie-Agentur (dena), die zukünftig selber auf dem EUREF-Gelände residieren wird, will auf dem EUREF-Campus ein nationales Kompetenzzentrum für Wasserstofftechnik aufbauen. Auf dem Campus hat auch der Bundesverband Erneuerbare Energien seine Zentrale errichtet.  Anfang des Jahres gründete die EUREF AG ein Tochterunternehmen, die EUREF Energy Innovation GmbH. Ziel des Unternehmens ist die Entwicklung neuer EUREF-Standorte, um dort durch die Vernetzung von Wirtschaft, Wissenschaft und gesellschaftlichen Akteuren die Anwendung innovativer Technologien für Klimaschutz und Energiewende zu beschleunigen. Der Geschäftsführer der EUREF Energy Innovation GmbH, Dr. Uwe Schneider, informierte mich eingehend über die wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Möglichkeiten, anspruchsvolle Klimaziele gerade in den Sektoren Wärme und Mobilität schneller zu erreichen. Man muss sich klar machen, dass der Klimawandel sich mit der Gesetzmäßigkeit eines langsam ablaufenden unaufhaltbaren Prozesses vollziehen wird, da bereits gewaltige Mengen an Treibhausgasen in die Atmosphäre ausgestoßen wurden, die über lange Zeiträume stabil und damit klimawirksam bleiben. An diesem Verlauf ändert die Erkenntnis, dass seine Ursachen in der rücksichtslosen Ausbeutung unseres Planeten durch den Menschen liegen, alleine gar nichts. Allerdings besteht noch die Möglichkeit, durch schnelles und innovatives Handeln, das Ausmaß des Klimawandels abzumildern und so die kritischen Folgen für Mensch und Umwelt in Grenzen zu halten.

Eine Option für das Erreichen der Klimaschutzziele ist die Nutzung von blauem Wasserstoff als Übergangstechnologie. Im Gegensatz zu grünem Wasserstoff wird blauer Wasserstoff aus fossiler Energie (i.d.R. Gas) gewonnen. Die Klimaneutralität wird dadurch erreicht, dass das Kohlendioxid (CO2) abgeschieden und im geologischen Untergrund sicher gespeichert wird. Diese Technik wird seit über 50 Jahren erfolgreich praktiziert. Mit blauem Wasserstoff kann schnell ein wirtschaftlich und ökologisch vertretbarer Energieträger für den Übergang zu einer rein auf grünem Wasserstoff basierenden Wasserstoff-Wirtschaft bereitgestellt werden. Grüner Wasserstoff kann so rasch nicht in ausreichender Menge erzeugt werden.

Eine weitere Innovation wären klimaneutrale synthetische Kraftstoffe, sog. E-Fuels, die auch die derzeit auf der Straße befindlichen Fahrzeuge tanken können. Durch steuerliche Maßnahmen wäre es möglich, diese Kraftstoffe konkurrenzfähig und so die bestehende globale Fahrzeugflotte noch nachhaltig CO2-neutral nutzbar zu machen. Auch die auf Mobilität angewiesenen nicht einkommensstarken Bevölkerungsteile einkommensstarken Bevölkerungsteile sowie Menschen in Drittländern ohne absehbare Verfügbarkeit einer Ladeinfrastruktur könnten so einen sofortigen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

E-Fuels basieren auf der Verbindung von Wasserstoff und CO2. Wenn man letzteres der Luft entnimmt und gleichzeitig den Wasserstoff klimaneutral herstellt, dann erhält man einen Kraftstoff, der bei der Verbrennung kein zusätzliches CO2 in die Atmosphäre mehr abgibt. Genau das ist bei dem derzeitigen Betrieb von Verbrennungsmotoren durch Benzin oder Diesel ja gerade nicht der Fall. Die Zukunft der Mobilität wird daher aus einem Mix aus strombasierten Antrieben in urbanen und Wasserstoff bzw. E-Fuel basierten Antrieben für den Ferntransport bestehen.

Alles in allem konnte ich am EUREF-Campus einen Einblick in die wirtschafts- und energiepolitischen Zukunftsoptionen erhalten.
Es wurde deutlich, dass schnell gehandelt werden muss und schnell gehandelt werden kann. Letzteres setzt allerdings wirtschaftspolitischen Realismus voraus.

[Dieser Beitrag ist meinem aktuellen Newsletter für März / April 2021 entnommen.]