Plenarrede zur Sicherung der Berliner Mauerreste

Frau Präsidentin,
meine sehr verehrten Damen und Herren!

Lassen Sie mich eingangs schildern, wie sehr dieses Bauwerk Berliner Mauer mein persönliches Leben begleitet hat.

Ich war gerade erst vier Jahre alt, als bei meinen Großeltern gegenüber auf der anderen Straßenseite die Fenster und Türen der vierstöckigen Wohnhäuser zugemauert wurden. Meine Großeltern wohnten auf der politisch „westlichen“, d.h. geographisch nördlichen Seite der Bernauer Straße, und ich sah als Kind voller Unverständnis, wie dort gegenüber ein „Vopo“ Spielsachen und Gegenstände aus Fenster warf, die doch jemandem gehören mussten – für uns West-Berliner waren alle DDR-Uniformierten immer „Vopos“, muss man vielleicht dazu sagen.

Ich erlebte, wie die zugemauerten Häuser vier Stockwerke hoch über mehrere Jahre die Grenze zwischen Ost- und West-Berlin bildeten, irgendwann Mitte der 60er Jahre auf Erdgeschosshöhe abgerissen wurden, und wie dann im Sommer 1980 eine „moderne Mauer“ mit Betonröhre oben drauf an ihre Stelle trat.

Diese Mauer fiel zum Glück knapp zehn Jahre später – zunächst fiel sie im November 1989 politisch, aber im darauffolgenden Jahr dann auch bald materiell.

Nach 29 Jahren einer tödlichen Grenze zwischen Ost- und West-Berlin sowie zwischen West-Berlin und dem märkischen Umland, gab es einen überwiegenden Wunsch in Ost wie West, dieses Monstrum, das von seine Erbauern „antifaschistischer Schutzwall“ genannt wurde, so schnell wie möglich und restlos zu beseitigen. Auch auf meinen eigenen Dias des Jahres 1990, als ich an den verschiedensten Ecken der Grenze viel fotografierte, ist doch der Blick auf die Mauerüberwindung vorherrschend. Das Loch in der Mauer, der niedergerissene Grenzzaun – das ist viel häufiger auf meinen Bildern zu sehen als die noch intakte Grenze.

Und im Laufe des Jahres 1990 wurde dann auch bereits ein erheblicher Teil der Grenzanlagen durch ihre ehemaligen Beschützer abgebaut, die inzwischen teilweise zur Bundeswehr mutiert waren. Mahnende Stimmen, man solle die Mauer vielleicht nicht ganz so rigoros beseitigen, fanden kaum Gehör.

Immerhin wurde aber an der Bernauer Straße die Gedenkstätte Berliner Mauer eingerichtet. Hier befindet sich das letzte Stück Berliner Mauer, das in seiner Tiefenstaffelung erhalten geblieben ist und so einen Eindruck vermittelt vom Aufbau der Grenzanlagen Ende der 1980er Jahre. Ebenso gibt es die mit ihren  Malereien aus der Wendezeit berühmte Hinterlandmauer,  die als „East-Side-Gallery“ bekannt ist. Und gewiss, am Potsdamer Platz findet man Mauersegmente mit Informationstafeln. Und wer kennt nicht – zumindest dem Namen nach – den Mauerpark in Prenzlauer Berg, wo noch 350 Meter der ehemaligen Hinterlandmauer zu finden sind. Nicht weit davon, kurz bevor die Nord-Süd-S-Bahn in den Tunnel fährt, gibt noch die Hinterlandmauer entlang des Friedhofs und ein kurzes Stück Vordermauer mit Betonröhre neben der sog. „Schwindsuchtbrücke“ an der Liesenstraße.

Doch es gibt auch noch einige wenige vergessene Mauerreste, die meisten davon außerhalb des Stadtzentrums und um diese geht es mir heute. Diese vergessenen, überwucherten und auch immer wieder mit neuen Graffiti „verzierten“ Reste sind letzte bauliche Zeugnisse einer Vergangenheit, die nicht vergessen werden darf! Wie diese Vergangenheit beschaffen war, welche Auswirkungen auf das Leben der Menschen sie hatte, kann anhand solcher baulicher Denkmäler erfahren werden. Daher sollten solche Orte deutlicher ins Licht der Öffentlichkeit gerückt werden.

Es geht darum, dass bisher denkmalrechtlich noch nicht gesicherte bauliche Reste der Berliner Mauer und der Grenzanlagen der DDR erfasst werden und, wo das sinnvoll und möglich ist, diese unter Denkmalschutz zu stellen. Hierfür wäre auch ein Ankauf oder eine Übernahme zu prüfen, sollten sich die historischen baulichen Zeugnisse nicht auf Grundstücken der öffentlichen Hand befinden.

Nicht alle Reste der Mauer bzw. Grenzanlage sind auch bekannt und müssen noch wiederendeckt werden. 2018 fand der Heimatforscher Christian Bormann einen 80 Meter langen Mauerteil am S-Bahnhof Berlin-Schönholz. Zwar war es eine Zeitlange strittig, ob es sich dabei tatsächlich um einen Teil der ehemaligen Grenzanlage handle, doch mittlerweile gilt dies als gesichert. Dieses Mauerstück steht seitdem unter Denkmalschutz und der Bezirk Reinickendorf hat die Sicherung übernommen.

Die nähere Untersuchung hinsichtlich des baulichen Zustandes, die ordnungsgemäße Erfassung und Sicherung solcher baulicher Zeugnisse muss ebenfalls eine Aufgabe der öffentlichen Hand sein! Wie nötig die Sicherung ist, kann man hier in der Niederkirchnerstraße an dem bereits erwähnten Mauerstück besichtigen, das von sogenannten „Mauerspechten“ nahezu „weggepickt“ worden ist.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen – sorgen wir als Berliner Parlament dafür, dass (fast) vergessene und überwucherte Mauerreste wie in der Liesenstraße oder die Vorfeldsicherungsmauer, die von Bewohnern in einem Gebüsch nördlich der Ida-von-Arnim-Straße wiederentdeckt wurde nicht einfach wieder verschwinden.

Sorgen wir dafür, dass auch weitere Teile wiederentdeckt und gesichert werden können – grenzübergreifend in Kooperation mit Brandenburg.

In Rudow, Groß-Glienicke, Lübars – hier verschwindet die Vergangenheit zunehmend in der wuchernden Gegenwart. Sorgen wir dafür, dass auch hier Erinnerung stattfinden kann!

Ich danke für die Aufmerksamkeit!

 

Die Rede kann in einer Aufzeichnung des rbb hier abgerufen werden.