Konjunkturentwicklung: Berlin wächst weiter – Plenarrede vom 14.11.2019

Konjunkturentwicklung: Berlin wächst weiter 

Herr Präsident,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

»Gehn Sie mit der Konjunktur«, so sang das Hazy-Osterwald-Sextett optimistisch vor mehr als einem halben Jahrhundert – in einer Zeit des Wiederaufbaus nach dem Krieg, als die Konjunktur in Deutschland nur eine Richtung zu kennen schien – aufwärts. Von dieser historisch kurzen, atypischen Phase einmal abgesehen, haben wir aber in den zurückliegenden Jahrzehnten Konjunkturzyklen und die Krisenanfälligkeit unseres globalen Wirtschaftssystems in jedweder Form erlebt.

Auch derzeit bleibt die deutsche Konjunktur nicht unberührt vom sich eintrübenden internationalen Klima. Die Spannungen in den transatlantischen Beziehungen, ausgelöst durch die Politik eines unberechenbaren US-Präsidenten, der wohl bevorstehende Brexit, die Krise der WTO und einige weitere Faktoren haben zu einer weitgehenden Verunsicherung vieler Wirtschaftsakteure, zu erschwerten Bedingungen im Exportsektor und zu einer weltweiten Investitionsflaute geführt. Führende Wirtschaftsforschungsinstitute haben die Konjunkturprognosen für Deutschland kürzlich nochmals nach unten korrigiert und rechnen inzwischen nur noch mit einem diesjährigen Wachstum von 0,5 Prozent.

In diesem Kontext scheint es umso beachtlicher, dass die Berliner Wirtschaft sich unabhängig von diesen schlechten Zahlen weiterhin äußerst positiv entwickelt. Bereits im ersten Halbjahr dieses Jahres wurde das bundesdeutsche Wachstum um fast das fünffache übertroffen und war deutlich stärker als in allen anderen Bundesländern!

Während die vermeintlichen Wirtschaftsexperten einer schwarz-gelben Landesregierung in Nordrhein-Westfalen beispielsweise ihren Wählerinnen und Wählern gegenüber in Erklärungsnot geraten dürften, weshalb die dortige Wirtschaft im ersten Halbjahr 2019 mit einem mickrigen Wachstum von 0,1 Prozent nur noch haarscharf an einer Rezession vorbeischrammte, können wir in Berlin mit gewissem Stolz sagen, dass wir einen  Anteil daran haben, die bundesdeutschen Zahlen nicht noch schlechter ausfallen zu lassen.

Im Bericht der Deutschen Bundesbank zur Wirtschaftslage in Berlin heißt es nun, dass sich Berlins Wirtschaft »auch im 2. Halbjahr 2019 von der gesamtdeutschen Wachstumsschwäche weitgehend abkoppeln« dürfte. Lassen Sie uns also einen Blick darauf werfen, welches die Gründe für diese hervorragenden Zahlen und die weiterhin optimistische Prognose sind.

Als Klaus Wowereit im Jahr 2001 das Amt des Regierenden Bürgermeisters von Eberhard Diepgen übernahm, steckte die Berliner Wirtschaft in einer manifesten Krise. Nullwachstum, manchmal auch negative Wachstumsraten waren die Regel, und die Arbeitslosenquote steuerte auf die 20 Prozent zu. Berlin stand im bundesdeutschen Vergleich so schlecht wie kaum ein anderes Bundesland da, blieb von der ökonomisch positiven Entwicklung insbesondere in den alten Bundesländern weitgehend abgekoppelt.

Dies hat sich entscheidend geändert. In den letzten 18 Jahren konnte die Berliner SPD ganz maßgeblich eine zukunftsgerichtete, aber vor allem auch soziale Wirtschaftspolitik mitgestalten, die dazu geführt hat, dass der Wirtschaftsstandort Berlin heute attraktiver denn je ist und die Wachstumsraten in Berlin seit 2005 meist über dem Bundesdurchschnitt lagen. In diesem Zeitraum gab es konjunkturell sehr unterschiedliche Phasen und zwischen 2008 und 2010 eine weltweite Wirtschaftskrise. Doch Berlin setzte seinen langfristigen Wachstumskurs ungeachtet kurzfristiger Schwankungen fort.

Die unter der Regierung Klaus Wowereits richtig gestellten Weichen und die seinerzeit geschaffenen Instrumente wie der Runde Tisch Tourismus oder der Steuerungskreis Industriepolitik beim Regierenden Bürgermeister wurden in beiden Senaten von Michael Müller konsequent fortgesetzt.

Am 4. September 2018 hat der Senat von Berlin den neuen Masterplan Industriestadt Berlin 2018 – 2021 beschlossen. Der Masterplan Industrie stellt den strategischen Rahmen, um die Akteure gezielt zusammenzubringen, Innovationsräume zu qualifizieren und Berlins Profil als digitale Werkbank weiter zu schärfen. Die Fortschreibung des Masterplans nimmt Flächenbedarfe in den Blick – ja, Herr Gräff, das ist so – und sorgt mit gezielten Marketing- und Kommunikationsmaßnahmen für die öffentliche Wahrnehmung der Industriestadt.

Im Januar 2019 haben die Länder Berlin und Brandenburg die »Gemeinsame Innovationsstrategie der Länder Berlin und Brandenburg« (innoBB 2025) beschlossenen. Die Hauptstadtregion bietet beste Voraussetzungen, eine hohe Dichte an exzellenten Hochschulen und Forschungseinrichtungen und eine enge Verknüpfung von Wirtschaft und Wissenschaft. Großes Entwicklungspotenzial haben die Cluster Gesundheitswirtschaft | IKT, Medien und Kreativwirtschaft | Verkehr, Mobilität und Logistik | Energietechnik | Optik und Photonik. Die Cluster länderübergreifend zu fördern, ist Ziel der Innovationsstrategie.

Daher ist es auch kein Zufall, dass sich Berlin im vergangenen Jahr als Standort des Siemens-Innovationscampus im globalen Wettbewerb durchgesetzt hat, sondern eine Folge erfolgreicher Wirtschaftspolitik. Und die gerade erst in dieser Woche bekannt gewordene Entscheidung von TESLA, im Umland Berlins ein großes Produktionswerk mit Berlin als zugehörigem Entwicklungsstandort einzurichten, ist ebenfalls Ergebnis dieser konsequenten Wirtschafts- und auch Wissenschaftspolitik.

Nach meiner Einschätzung sind insbesondere vier Faktoren für diese positive Entwicklung maßgeblich.

Erstens profitierten wir immens von der Diversifizierung der Berliner Wirtschaft, so dass verschiedene Standbeine die Berliner Wirtschaft resistenter gegenüber Krisen in einzelnen Branchen oder Sektoren machen, was sich insbesondere bei der globalen Wirtschaftskrise vor zehn Jahren zeigte.  Die Industrie beispielsweise macht in Berlin mit knapp 9 Prozent der Bruttowertschöpfung einen verhältnismäßig geringen Anteil aus. Diese Tatsache unterscheidet uns von zahlreichen anderen Regionen in Deutschland, worüber wir nicht immer froh sind, aber die die Abhängigkeit vom industriellen Sektor geringer macht, unter der andere Regionen leiden, die vom derzeitigem Rückgang betroffen sind.

Man denke nur an die süddeutschen Bundesländer, deren Wachstum maßgeblich mit der Autoindustrie verbunden ist und daher gegenwärtig unter deren selbstverschuldeter Strukturkrise leiden. Allerdings habe ich auch hier gute Nachrichten über eine erfreuliche Berliner Entwicklung der Industrie – entgegen dem Bundestrend! Die Umsätze der Berliner Industrie sind bis Juli im Vergleich zum Vorjahr um fast 5 Prozent angestiegen und auch die Auftragslage ist weiterhin hervorragend. Die industrielle Basis ist nach wie vor schmaler, aber sie ist nicht auf bestimmte Branchen fixiert.

Immerhin ein knappes Drittel der Berliner Wertschöpfung erfolgt im Bereich der unternehmensnahen Dienstleistungen, der wiederum in Information und Kommunikation sowie freiberufliche, wissenschaftliche, technische und sonstige Dienstleistungen aufgeteilt werden kann. Auch hier stieg der Umsatz bis Juli im Vorjahresvergleich um knapp 5 Prozent, was mit einem Beschäftigungswachstum von immerhin fast 4 Prozent einherging.

Auch die Bauwirtschaft befindet sich weiterhin in Hochkonjunktur und kann sich kaum vor Aufträgen retten. Ebenso positive Nachrichten erreichen uns sowohl vom Gastgewerbe als auch von den Finanz- und Versicherungsdienstleistungen.

Berlin ist also breit aufgestellt und profitiert dabei natürlich auch – und das ist mein zweiter Punkt – von einer konsequent zukunftsorientierten Wirtschaftspolitik. Als Start-up-Standort Nummer 1 in Deutschland hat es Berlin geschafft, immer mehr Jungunternehmerinnen und Jungunternehmer anzulocken. Viele der innovativen Geschäftsmodelle sind nachhaltig erfolgreich, was beispielsweise das starke Wachstum von 7,5 Prozent im Bereich des Online-Handels veranschaulicht. Schätzungen zufolge wurden im ersten Halbjahr 2019 2,8 Milliarden Euro in deutsche Start-ups investiert, wovon beeindruckende drei Viertel, also 2,1 Milliarden Euro, an Berliner Start-ups geflossen sind. – Digitalisierung ist ein Mega-Trend, von dem Berlin profitiert, wir hatten erst gerade eine Anhörung dazu im Wirtschaftsausschuss. –

Drittens profitieren wir natürlich auch, das möchte ich gar nicht leugnen, vom generellen Urbanisierungstrend, der mit zahlreichen Chancen für eine Stadt wie Berlin einhergeht. Es ist tatsächlich leichter für Unternehmen wie TESLA, Siemens, Bayer und andere qualifizierte Leute an en Standort Berlin zu holen als anderswohin. Eine steigende Einwohnerzahl und – darauf möchte ich nicht nur die Kolleginnen und Kollegen der AfD, sondern auch Herrn Gräff mit seiner rückwärtsgewandten Zuzugssperre hinweisen – Zuwanderung sind unabdingbare Voraussetzungen, um auf den stärker werdenden Fachkräftemangel zu reagieren. Ein vielfältiges kulturelles Angebot wiederum trägt zum Tourismusboom bei und kommt somit dem Hotel- und Gastgewerbe zugute.

Letztlich profitiert Berlins Wirtschaft auch, und davon bin ich überzeugt, von einer starken Sozialpolitik, die den Standort für viele Menschen attraktiver macht. Berlin steht im Wettbewerb um Arbeits- und Fachkräfte zu vielen anderen Städten, nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern. Themen wie bezahlbarer Wohnraum sind in einer globalisierten Welt für viele Menschen ein ausschlagendes Kriterium, wenn es darum geht, ihren Lebensmittelpunkt zu wählen. Und nur wenn wir in sozialen Bereichen weiterhin vorangehen, wird Berlin als Standort auch gleichermaßen attraktiv bleiben.

Dies sei auch den Expertinnen und Experten aus Unternehmensverbänden sowie der IHK gesagt. Es mag ja sein, dass der Geschäftsklimaindex, der die Stimmungen und Erwartungen der Berliner Unternehmen widerspiegelt, um 24 Punkte hinter dem des Vorjahres zurückbleibt. Doch ist es ein voreiliger Schluss, hierfür – wie es bei der IHK heißt – »berlininterne Risikofaktoren«, insbesondere Eingriffe in das Privateigentum oder den Mietendeckel verantwortlich zu machen. Ich glaube, Berliner Unternehmerinnen und Unternehmer denken weitaus weniger ideologisch als jene Verbandsfunktionäre, denen bestimmte Maßnahmen der Berliner Politik zur Mietenbegrenzung aus Prinzip nicht passen und die deshalb den gesunkenen Geschäftsklimaindex in ihrem Sinne politisch zu instrumentalisieren versuchen.

Die harten wirtschaftlichen Zahlen sprechen aber eine andere Sprache und belegen, dass trotz gewisser Verunsicherungen der Unternehmen aufgrund der schon erwähnten weltwirtschaftlichen Risiken die Zeichen weiter auf Wachstum stehen.

Zusammengefasst kann man sagen, um noch einmal an den Anfang meiner Rede anzuknüpfen, Berlin geht mit der Konjunktur, wenn sie sich aufwärts bewegt, hat inzwischen aber auch Spielräume, um konjunkturellen Einbrüchen zu trotzen!

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

[Das gesprochene Wort kann vom Redemanuskript abweichen.]

 

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Diese Rede kann unter folgendem Link angesehen oder heruntergeladen werden:

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Link zur Rubrik »Im Parlament« für das Abgeordnetenhaus von Berlin:

https://www.rbb-online.de/imparlament/berlin/2019/abgeordnetenhaus_berlin_2019.html