Bibliothekskonzept

Entwicklung eines Bibliothekskonzepts, Plenarrede vom 14.06.18 zum Antrag der Koalition

Herr Präsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

im Koalitionsvertrag hat sich Rot-rot-grün die zukunftsfähige Gestaltung der Berliner Bibliotheken ins Aufgabenheft geschrieben. Der Grund hierfür ist, dass alle drei Koalitionspartner der Modernisierung des Berliner Bibliothekswesens erhebliche Bedeutung beimessen. Bibliotheken sind Medien. Immer schon haben sie Wissen gespeichert, verteilt und generiert. Selbstverständlich kommt ihnen daher gerade in der Wissens- und Informationsgesellschaft erhebliche Bedeutung zu.

Allerdings wandelt sich mit der Wissensgesellschaft auch ihre Rolle, weil neue Wissensspeicher, -verteiler und -generatoren, nämlich das globale Internet und die sozialen Medien hinzutreten, die anders funktionieren als die klassische Bestandsammlung von Büchern. Damit ergeben sich für Bibliotheken neue Aufgaben. Zum Beispiel stellen soziale Medien und Internet ganz neue Anforderungen an die Medienkompetenz der Nutzer, nicht nur technisch, sondern auch im Hinblick auf den Wert und die Bedeutung der verbreiteten Informationen. In einer Medienwelt in der praktisch jede und jeder durch einen Blog oder ein Facebook-, Twitter-, Youtube- oder Instagram-Profil zum Massenmedium werden kann, eröffnen sich neue Chancen und Risiken der Kommunikation. Fake-News und Filter-Blasen sind nur die bekanntesten Risiken, aber in ihnen steckt ein erhebliches Manipulationspotenzial, das nicht ohne Folgen für demokratische Entscheidungsprozesse bleibt und ganz neue Anforderungen an die Mediennutzer – also letztlich an uns alle – stellt. Einerseits Anforderungen an die eigene Medienproduktion, andererseits solche an die eigene Medienrezeption. Und es hat Konsequenzen für die Meinungsbildung. Immer weniger Menschen rezipieren immer weniger gleichzeitig. Mit Ausnahme von Zeiten internationaler Fußballmeisterschaften ist es die absolute Ausnahme, dass von zehn Menschen auch nur zwei am Abend zuvor die gleiche Sendung gesehen haben. Dieses Verschwinden von Gleichzeitigkeit stellt ganz neue Anforderungen an die politische und demokratische Kommunikation.

Als Sozialdemokrat verspreche ich mir von dem Antrag, dass die sich bereits vollziehenden Modernisierungsprozesse des Berliner Bibliothekswesens, organisatorisch gestrafft und strategisch auf die Anforderungen der vernetzten und verdateten Gesellschaft ausgerichtet werden. Der Antrag geht daher, ganz sozialdemokratisch, von einem User-orientierten Ansatz aus. Im Fokus steht das aktive Handeln der Mediennutzer. Dieses Handeln gilt es zu unterstützen und zu entwickeln.

Im Zentrum steht daher der Begriff der Medienkompetenz. Medienkompetenz umfasst, wie gesagt, nicht nur die technischen Kompetenzen, also etwa Lesefähigkeit oder den Umgang mit digitalen Medien. Medienkompetenz meint zudem Rezeptionskompetenzen, also etwa die Bewertung von Glaubwürdigkeit, das Erkennen von Manipulationsabsichten oder die strukturierte Einordung neuer Informationen in den eigenen Wissensbesttand. Und Medienkompetenz meint auch Produktionskompetenz, etwa die Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte anderer, der faire Umgang mit Rezipienten, Wahrheitsorientierung etc.

Im Rahmen einer kompetenten Mediennutzung ergeben sich dann eine ganze Reihe neuer kommunikativer Chancen, die genutzt werden sollten. Medien sind heute neben Elternhaus und Schule der wichtigste Sozialisationsfaktor, den man nutzen muss, anstatt ihn zu verbieten. Kommunikation ist ein wichtiges soziales Band, das wir entwickeln und nicht vergiften und missbrauchen dürfen. Hierzu soll und kann das neue Bibliothekskonzept einen wichtigen Beitrag leisten,

  • indem es grundsätzlich von einer Nutzerperspektive und den Interessen der Nutzerinnen und -nutzer ausgeht,
  • indem es aktive Medienkompetenzen in ihrer ganzen Bandbreite entwickelt,
  • indem es den Medienwandel nicht nur nachvollzieht, sondern selbst aktiv neue Dienstleitungsangebote entwickelt,
  • indem es die Kooperation Berliner Bibliotheken optimiert. Hierbei geht es ja nicht nur um die ZLB und die Bezirksbibliotheken, sondern wie von Frau Bangert schon gesagt auch um Schulbibliotheken, die Stabi und die Universitätsbibliotheken.
  • Und indem es die Finanzierung durch entsprechende rechtliche Rahmensetzung sichert,
  • dabei insbesondere die Arbeitsplätze der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schützt und für ihre Weiterbildung Sorge trägt
  • sowie gemeinsame Standards formuliert, die auch in allen Bezirken umgesetzt werden, werden ebenfalls wichtige Beiträge geleistet.

Bereits 2016 erhielt der Verbund der Öffentlichen Bibliotheken Berlins (VÖBB) eine erhebliche finanzielle Unterstützung aus SIWA II-Mitteln für die Verbesserung der digitalen Infrastruktur. Das war eine gute Investition, denn im letzten Jahr ist die Anzahl der Bibliotheksbesuche um 300.0000 gewachsen. Das zeigt, dass das Bibliothekswesen in Zeiten des Internets kein Auslaufmodell darstellt. Ein in sich abgestimmtes und modernes Bibliothekskonzept, wie es die Koalition hier vorlegt, ist aus sozialdemokratischer Sicht ein wichtiger Baustein zur Festigung der Demokratie, zur Sicherung der informationellen Selbstbestimmung und zur Entwicklung der Kreativität – insbesondere letzteres ist auch von wirtschaftspolitischer Bedeutung!

Ich unterstütze ausdrücklich das vorgeschlagene Konzept und bitte um breite Zustimmung.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

[Hinweis: Das gesprochene Wort kann vom Manuskript abweichen.]