Solidarisches Grundeinkommen

Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, kämpft für einen sozialpoliti­schen Systemwechsel. Das Solidarische Grundeinkommen (SGE) soll Menschen in Arbeit bringen statt sie – so Müller – »im ge­scheiterten Hartz-IV-System zu verwalten«.

Michael Müller nimmt den neuen Newsletter in Empfang, in dem mein Bericht zum Solidarischen Grundeinkommen ebenfalls abgedruckt ist.

Schon Ende Oktober regte der Regierende Bürgermeister an, über eine neue Form so­zialer Absicherung nachzudenken und ein Solidarisches Grundeinkommen ins Auge zu fassen. In der neuen Ausgabe der Zeitschrift Berliner Stimme beschreibt er ausführlich, wie er sich das SGE vorstellt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat inzwischen eine erste Machbarkeitsstudie vorgelegt und siehe da: Es geht!

Die Grundidee des SGE wird hier auszugs­weise vorgestellt (rote Schrift). Dieses Konzept bringt eine völlig neue Idee in die Diskussionen über soziale Spaltung und so­ziale Verunsicherung ein. Die strukturellen Webfehler einzugestehen, die in das Arbeits­losengeld II eingelassen sind, fällt den meis­ten prominenten Politikern schwer. Müller gibt allen denen Hoffnung, die unter diesem System zu leiden haben. Dass die Demokratie sich damit am meisten selbst schädigt, scheint bislang nur wenigen aufzufallen.


»Es ist endlich an der Zeit«, so Michael Müller, »dem Hartz-IV-System etwas Neues entge­genzusetzen. Denn die Agendapolitik ist für die betroffenen Menschen eine Bürde und für die Sozialdemokratie seit weit über zehn Jahren ein schweres Erbe. Ich bin davon überzeugt, dass es dabei keinen Sinn macht, weiter auf Reformen der Agenda 2010 und ihrer Maßnah­men zu setzen, um die Gerechtigkeitslücke wieder zu schließen. Wir müssen ganz neue Wege gehen. […]
Wir brauchen stattdessen eine neue soziale Agenda. Nur so wird es uns gelingen, auf die neue Herausforderung der Digitalisierung der Arbeitswelt zu reagieren. […]
Herzstück dieser neuen sozialen Agenda müsste aber die Abschaffung von Hartz-IV sein. Nur so kann die Gerechtigkeitslücke des viel zu oft nur Langzeitarbeitslosigkeit verwal­tenden Hartz-IV-Systems bekämpft werden. […]
Ich habe dafür Anfang November als Bun­desratspräsident in einem Grundsatzartikel zum Thema ›Digital und Sozial‹ unter anderem den Vorschlag eines ›Solidarischen Grundein­kommens‹ gemacht, wofür es viel Zuspruch gab. […] Grundsätzlich müssen wir endlich aufhören, den Ausschluss aus der Gesellschaft zu organisieren, anstatt uns um die Teilhabe zu bemühen. […]
Eckpfeiler für ein Solidarisches Grundeinkom­men sind dabei meines Erachtens die folgen­den sechs Grundsätze:
1. Arbeit mit Solidarischem Grundeinkommen wird wie jedes Arbeitsverhältnis freiwillig auf­genommen. Wer keine Tätigkeit wahrnehmen kann oder will, erhält eine neu zu definierende Sozialhilfe.[…]
2. […Es darf] keine reguläre Arbeit verdrängt [werden].
3. Die Arbeit muss regulär und sozialversich­erungspflichtig sein und in der Regel von kommunalen oder landeseigenen Unterneh­men angeboten werden. Das Solidarische Grundeinkommen darf kein Mittel zum priva­ten Mehrwert sein.
4. Die mindeste Entlohnung ist der Mindest­lohn und die Tätigkeiten müssen tarifver­traglich abgesichert werden. […]
5. Die Tätigkeiten sind unbefristet. Es werden aber parallel Umschulungs- und Qualifizie­rungsangebote angeboten, um das System durchlässig zu machen.
6. Statt Langzeitarbeitslosigkeit zu verwalten, wird die Steuerung und Vermittlung der neuen Jobs von den Arbeitsagenturen übernommen. […]«
Quelle: Berliner Stimme 1/2018, S. 6-9


Tatsache ist, dass unser Arbeitsmarkt in vier Bereiche gespalten ist, von denen nur zwei sichere und gute Arbeit bieten können. Fachleute sprechen von den betriebsinternen Arbeitsmärkten und von dem qualifizierten Arbeitsmärkten. Im ersten Fall tritt man in ein Unternehmen oder eine Behörde ein und erhält gute Chancen auf eine betriebsinterne Karriere. Der Preis dafür ist eine Abschottung dieser Arbeitsmärkte gegen Quereinsteiger. Im zweiten Fall hat man gute Chancen, seine Karriere durch den Wechsel zwischen ver­schiedenen Betrieben voranzutreiben. Voraus­setzungen hierfür sind entsprechende Quali­fikationen.

Diese Arbeitsmärkte bringen zwar sichere Jobs – dies aber nur, weil sie Flexibilisie­rungsrisiken in andere Arbeitsmärkte quasi »outsourcen«. Diesbezüglich spricht man auch von »Puffermäkten«. Hierzu gehören prekäre Jobs wie etwa Leiharbeit, befristete Arbeitsverhältnisse, Werkverträge, Honorar­tätigkeiten oder Scheinselbstständigkeit. Da­neben gibt es noch den unqualifizierten Ar­beitsmarkt, den »Jedermannsarbeitsmarkt«, in dem unsichere und schlecht entlohnte Jobs vergeben werden.

Zudem kann man sehen, dass der Anteil der prekären Beschäftigung in den letzten Jahr­zehnten erheblich zugenommen hat. Seit An­fang dieses Jahrzehnts stagniert dieser Anteil bei etwa 40%. Das heißt fast die Hälfte der Beschäftigten arbeitet prekär. Solche Beschäf­tigungsformen sind den Jedermannsarbeits­märkten und den Puffermärkten zuzuordnen.

Man muss sich klar machen, was das bedeu­tet: Unsere Gegenwartsgesellschaft ist ge­spalten. Und zwar ist das eine Spaltung zwi­schen sozialer Sicherheit und sozialer Un­sicherheit. Diese Spaltung wird noch dadurch verschärft, dass die Sicherheit der einen zum Teil mit der Unsicherheit der anderen erkauft wird.

Die Spaltung der Gesellschaft in eine sichere Integrationszone und in eine Zone sozialer Unsicherheit und Verwundbarkeit hat bis weit in die Mittelschicht Abstiegsängste zur Folge. Insgesamt sorgt sie für schlechte Stim­mung und verunsichert die Menschen. Die Jobcenter schütten noch Öl ins Feuer, da sie verlangen, Rücklagen aufzubrauchen oder Rentenversicherungen aufzulösen. Für alle jene, die damit rechnen, dass sie mit einem Jobcenter Kontakt aufnehmen müssen, lohnt es sich also gar nicht, private Sicherheits­polster anzulegen.

Das SGE verspricht nun nichts Geringeres als in den Bereichen sozialer Unsicherheit un­befristete und tarifvertraglich abgesicherte Jobs zu schaffen, die zudem noch den Vorteil haben, von gesellschaftlichem Wert zu sein. Sie helfen, die zunehmende soziale Kälte in unserer Gesellschaft gleich doppelt zu be­kämpfen. Erstens, indem sie nützliche soziale und kulturelle Tätigkeiten fördern. Zweitens, indem sie genau in den Bereichen prekärer Tätigkeiten sichere Jobs anbieten.

Kurz gesagt, das Konzept Michael Müllers setzt an der Sicherheits-Spaltung der Gesell­schaft an. Das SGE kann die zunehmende Auflösung des sozialen Zusammenhalts nicht nur stoppen, sondern im Gegenteil Solidarität wieder erfahrbar machen. Dass mit diesem Konzept Wahlen gewonnen werden können und die AfD zurückgedrängt werden kann, liegt auf der Hand. Man muss es nur tun!

Berliner Stimme
DIW-Studie