Zur Besetzung der Volksbühne
Plenarrede vom 28. September 2017 zur Besetzung der Volksbühne
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren,
der Antrag, über den wir hier heute sprechen, hat mit Kultur ja nur oberflächlich zu tun, sondern es ist seitens der AfD vor allem ein weiterer ihrer Hau-drauf-Anträge. Oder wie einer Ihrer Fraktionskollegen es in der Zeitung formulierte, die Volksbühne müsse »aus dem Würgegriff der Kultur-Stalinisten befreit werden« – wer immer auch damit gemeint sei.
Kulturpolitisch ist die Lage relativ eindeutig. Der Berliner Senat hat seinerzeit einen neuen Intendanten für die Volksbühne, nämlich Chris Dercon, bestellt. Fachliche Kritik an dieser Entscheidung hat es vielfältig gegeben, aber es gibt auch gute und nachvollziehbare künstlerische Gründe für diese Besetzung. Die Entscheidung wurde gefällt, die Verträge sind abgeschlossen. Diese Entscheidung gefällt einigen aus der Theaterszene nicht – sei es aus politisch-organisatorischen, aus ästhetischen Gründen oder auch aus persönlicher Betroffenheit, aber sie ist vollständig demokratisch legitimiert und verfahrenstechnisch korrekt. Ein anderer Senator hätte diese Entscheidung vielleicht so nicht getroffen, und hätte möglicherweise auch andere Besetzungen in Kultureinrichtungen anders entschieden, aber die Verlässlichkeit des Landes Berlin, eingegangene Verträge auch einzuhalten, ist essentiell für die weitere Position des Landes bei der Anwerbung von Spitzenkräften nicht nur in der Kultur – das hat Senator Lederer auch nie anders dargestellt.
Nun lässt sich über Geschmack bekanntlich nicht streiten – und es ist politisch mehr als nur bedenklich, wenn Geschmacksfragen politisch werden und sich über die Verfahrenlegitimität des demokratischen Rechtsstaates hinwegsetzen. Genau das aber ist nun geschehen.
Die Besetzer des Kollektivs »Staub zu Glitzer« haben sich schlicht selbst ermächtigt, über die Belegung der Volksbühne und über die Kunst, die dort gezeigt werden soll, zu entscheiden.
Zunächst erklärten sie, nur auf die Gentrifizierung und Mietervertreibung aufmerksam machen zu wollen. Aus Sicht der SPD ist es ein ehrenvolles Ziel, die Gentrifizierung einzuhegen und die Mietervertreibung zu stoppen, doch scheinen mir die diesbezüglichen Vorstellungen der Besetzer insgesamt sehr allgemein. Ich bin aber gerne bereit, über politische Vorschläge zur Gentrifizierung mit den Besatzern zu sprechen und teile entsprechende Befürchtungen, da dies auch in meinem Wahlkreis ein Problem ist.
Ein Problem übrigens, zu dem von Seiten der CDU oder der FDP wenig Konstruktives zu hören ist, da es um bezahlbare Mieten geht – und nicht um immer mehr teure Eigentumswohnungen in der Innenstadt.
Wenn allerdings Gentrifizierung das Problem ist, warum besetzt man dann ein bespieltes Theater? Und wieso fordert man den Rücktritt ihres Intendanten? Soll der nun Schuld an der Gentrifizierung sein? Das ist doch absurdes Theater. Und wie peinlich ist es, dass sich der Castorf-Mitstreiter René Pollesch nun mit den Besetzern solidarisiert und sie zu »Castorfianern« meint adeln zu müssen? Kleinliches Nachtreten ist das, meine Damen und Herren. So agieren schlechte Verlierer.
Mit den Erklärungen Polleschs und anderer steht ja ein schlimmer Verdacht im Raum. Ich bin gespannt, ob wir von Herrn Castorf hierzu noch etwas hören dürfen. Er ist ja Dienstag in der Volksbühne aufgetaucht, um mit den Besetzern zu sprechen.
Wie sich zunehmend zeigt, geht es in Wirklichkeit darum, einen aus Steuergeldern finanzierten Kunstraum zu enteignen und der privaten Nutzung zugänglich zu machen. Denn das, liebe Besetzer, ist das, was ihr da gerade macht: Einen Kunstraum der Öffentlichkeit zu privatisieren! Mit einem Theater für das Volk hat euer Verhalten herzlich wenig zu tun.
Als Kulturpolitiker und Theaterfreund stelle ich fest, dass mich die Auffassung der Besetzer erschreckt. Kunst lebt von der ästhetischen Vielfalt und nicht vom Diktat selbsternannter Volksvertreter. Das ist der Grundgedanke der Kunstfreiheit. Im Übrigen werden Volksvertreter durch Wahl bestellt und nicht durch Selbstermächtigung.
Den Besetzerinnen und Besetzern sei gesagt: Die Volksbühne gehört bereits dem Volk, sie bedarf nicht der Aneignung durch Privatleute, denen die Entscheidung, Chris Decron zum Intendanten zu berufen, schlicht nicht gefällt.
Auch eine gemeinsame Intendanz mit den Besetzern ist nicht möglich. Wo kämen wir hin, wenn beliebige Personen nach persönlichem Belieben und per Nötigung erwirken könnten, dass sie den Job, den jemand macht, jetzt mitmachen? Man übertrage dieses Modell einmal auf die Wirtschaft oder auf die Politik! – Ich möchte die Besetzer auffordern, darüber einmal genauer nachzudenken. Es läuft nämlich darauf hinaus, die Herrschaft des Rechts und die Legitimität des geordneten Verfahrens durch das Recht des Stärkeren zu ersetzen.
Ich habe Respekt vor der Entscheidung des Kultursenators Klaus Lederer, besonnen zu bleiben und zunächst eine deeskalierende Strategie einzuschlagen. Deeskalation ist in solchen Fällen immer der erste Weg. Wir haben damit in Berlin sehr gute Erfahrungen gemacht. Deeskalation heißt allerdings nicht, dass Recht außer Kraft gesetzt und laufende Verträge einfach rückgängig gemacht werden.
Das scheint zwar irgendwie zeitgemäß – letztlich liegen dem Volksbegehren der Tegel-Freunde ja ähnliche Argumentationsmuster zugrunde –, aber es ist nicht richtig!
Die Besetzer haben das Angebot von Senat und Intendanz der Volksbühne, das bis an den Rand des rechtlich und politisch Möglichen ging, nicht angenommen, und so hat Intendant Dercon als Hausherr die Hilfe er Polizei angefordert, wie es seine Fürsorgepflicht für das Haus, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und den geordneten Probebetrieb für die Premiere am 10. November auch verlangte.
Die Mehrzahl der Besetzerinnen und Besetzer sind daraufhin heute vormittag freiwillig gegangen. Es richtig, diejenigen, die sich an das Recht nicht halten wollten, wegen Hausfriedensbruchs und zu belangen.
Chris Decron wird die Volksbühne bespielen! Der Vertrag wird eingehalten, und ich bin sicher, dass es eine erfolgreiche Spielzeit wird.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!
(Hinweis: Das gesprochene Wort kann von diesem Manuskript abweichen.)