Plenarrede zu schnellen Überbrückungshilfen / Stufenkonzept Corona-Maßnahmen in der Aktuellen Stunde am 11. Feb. 2021

Herr Präsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

die FDP gibt sich heute mal gebildet und formuliert als Thema der Aktuellen Stunde:  »Wenn das Warten auf Novemberhilfen zum Warten auf Godot wird!« Nun möchte ich bezweifeln, dass dieser Titelwahl eine nähere Beschäftigung mit dem Theaterstück um Wladimir und Estragon vorausgegangen ist. Sonst wäre vielleicht sogar Herrn Czaja aufgefallen, dass das Bild etwas schief ist, weil der Zwang zu langem und vergeblichem Warten, der hier wohl gemeint sein soll, gerade nicht das Thema war, das Samuel Beckett im Sinn hatte.

Doch hiervon mal abgesehen hat der Bund die Geduld der Unternehmen, die zeitig ihre Anträge auf die November- und Dezemberhilfen des Bundes gestellt haben, tatsächlich auf eine harte Probe gestellt. Die ersten Auszahlungen der beantragten Novemberhilfen konnten in Berlin durch die IBB erst erfolgen, nachdem sie vom Bund dazu in die Lage versetzt worden war, da alle Anträge über die Plattform des liefen – also ab dem 12. Januar.  Seitdem gehen die Bearbeitung der Anträge sowie die Auszahlung der Gelder aber zügig voran.

Das eine oder andere vom Lockdown betroffene Unternehmen hat seinen Unmut über die Verzögerung öffentlich kundgetan oder aber, wie die IBB am Dienstag in einer Online-Infoveranstaltung mitteilte, per Mail versucht, die Bearbeitung des eigenen Antrags voranzubringen. Mit Blick auf die ca. 5.000 Mails richtete IBB-Chef Jürgen Allerkamp gestern einen Appell an die Antragssteller: »Bitte beanspruchen Sie für sich keinen Extraweg«. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Investitionsbank Berlin tun ihr Möglichstes, um den Stau der Antragsbearbeitung aufzulösen, und arbeiten teilweise auch nachts. Dem gebührt hier unsere Anerkennung!

Knapp 29.300 Anträge wurden von Berliner Unternehmen auf die Novemberhilfe gestellt, am Dienstag war die Bearbeitung von 70 % der Anträge abgeschlossen, heute sind es sicherlich einige mehr und auch die Bearbeitung der Dezemberhilfen kommt voran. Das Warten wird also bald ein Ende haben. Zur Überbrückung hatte der Bund allerdings auch bereits vor dem Bearbeitungsstart durch die Länder Abschlagzahlungen bis zu 50.000 €  an 90 % der Antragstellenden geleistet.

Die Summen, die im Zuge der November- und Dezemberhilfe sowie der Überbrückungshilfe II an Berliner Unternehmen bereits ausgezahlt wurden und noch ausgezahlt werden, belaufen sich zusammen auf knapp 806 Mio. Euro. Davon sind 53 %, mehr als 400 Mio. Euro bereits ausgezahlt worden (Stand: Fr, 5.2.21), der Rest ist auf dem Weg.

Nun fordert die FDP im Titel ihrer Aktuellen Stunde außerdem: »Jetzt schnelle Überbrückungshilfen und unternehmensbezogene Förderungen für die Berliner Wirtschaft ermöglichen.«

Braucht es also noch einmal gesonderter Mittel des Landes Berlin, um die vermeintlich ausbleibenden Hilfen des Bundes zwischen zu finanzieren? Oder was wäre unter »schnelle Überbrückungshilfen«, die Sie fordern, sonst zu verstehen?

Da stellt sich erstens die Frage: Was heißt »schnell«, und was könnte schneller sein, als die Abarbeitung der bereits gestellten und der zu erwartenden Anträge?

Zweitens, ab wann sollen Ihre »schnellen Überbrückungshilfen« beantragbar sein? Jetzt sofort, ab nächster Woche? Wie soll das gehen, wer erstellt die Antragsformulare, wer bearbeitet sie? Soll das Land Berlin denn noch mal den ganzen Beantragungsvorgang in einer Parallelstruktur nachbilden, um die zustehenden Beträge aus den Bundeshilfen zwischenfinanzieren zu können?

Merken Sie, werte FDP, eigentlich nicht, wie absurd das ist? Sie tun ja nachgerade so, als wären die Hilfen des Bundes ein Fake! Bereits 400 Mio. an Berliner Unternehmen ausgezahlte Euro sind kein Fake. Ein Antragsvolumen von mehr als 800 Mio. Euro auch nicht.

Darüber hinaus engagiert sich das Land Berlin ungeachtet der Bundeshilfen aber auch selbst in erheblichem Umfang. Wie ich bereits in der Aktuellen Stunde heute vor vier Wochen, am 14. Januar zum Thema Corona-Hilfen dargelegt habe, ist uns als SPD und der gesamten Koalition die Situation der Unternehmen – und der Bevölkerung, die Sie in Ihrer Fokussierung auf die Wirtschaft natürlich mal wieder vergessen haben – bewusst. Darum haben wir zweimal 500 Mio. Euro in Nachtragshaushalten zur Verfügung gestellt – riesige Summen aus Landesmitteln, um wirksame Corona-Hilfen für Berlins Bevölkerung und Wirtschaft zu leisten. Dies schließt übrigens, wie Sie es nennen, »unternehmensbezogene Förderungen« ein, etwa den Kongressfonds sowie spezielle Hilfen für Unternehmen aus dem Gastronomiebereich oder der Modebranche. Start-ups können auf sie zugeschnittene Hilfen in Anspruch nehmen. Gewerbemietenzuschüsse und eine Digitalprämie wurden und werden gezahlt.

Einzelne öffentliche Unternehmen wie die Messe Berlin oder die Flughafengesellschaft sind von der Pandemie wirtschaftlich besonders betroffen und erhalten zusätzliche Unterstützung. Und natürlich sind unsere landeseigenen Förderprogramme insgesamt auf die Berliner Wirtschaft zugeschnitten, d.h. sie sind »unternehmensbezogen«, wie Sie es fordern.  Ja, und die Förderprogramme des Landes sind auch dafür da, Lücken in den Bundeshilfen zu schließen. Auch darauf habe ich bereits im Januar hingewiesen.

 

Die FDP legt hier des Weiteren den dringlichen Antrag vor, ein Stufenkonzept für Berlin zu beschließen, das schon ab nächster Woche gelten soll.

Es wäre gewiss wünschenswert, den Menschen eine Perspektive geben zu wollen und damit ein gewisses Maß an Planbarkeit. Die Unwägbarkeiten, die aus dem Pandemiegeschehen entstanden sind und leider auch immer noch wieder entstehen können, sind nicht nur wirtschaftlich, sondern auch psychisch belastend. Das erleben wir derzeit alle. Und wir alle wünschen uns, die Zukunft möge wieder etwas besser vorhersehbar sein.

Kann das jedoch der Stufenplan leisten, den die FDP ausgearbeitet hat? Ich fürchte nein!  Wir haben im bisherigen Verlauf der Pandemie bereits zu oft im Brustton der Überzeugung vorgetragene Zusicherungen vernommen, welche Maßnahmen „aufgrund dessen, was wir über das Virus wissen“ es nicht noch einmal geben werde. So etwa Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Nachhall des ersten Lockdowns über die Schließung von Einzelhandelsgeschäften. Leider hat er sich geirrt.

Der »Lockdown light« im November führte diese Einschätzung ad absurdum, kostete wertvolle Zeit, Menschenleben und wohl auch manche wirtschaftliche Existenz. Nun haben wir es mit Virusmutationen zu tun, die zuvor gültige Gewissheiten quasi aufmischen. Was eben noch als »beherrschbare« Inzidenz gelten konnte, trifft jetzt nicht mehr zu.

Das Virus zwingt uns noch immer zum Reagieren, durchkreuzt damit das Planbare. Reagieren zu müssen, bedeutet eben leider auch Kurzfristigkeit. Gegen diese unvorhersehbare Kurzfristigkeit von Maßnahmen zur Senkung der Neuinfektionen wendet sich nun der von der FDP ausgearbeitete Stufenplan.

Der Blick darauf offenbart zwar den Fleiß, der darin steckt – sechs Seiten lang ist die Tabelle, die sorgfältig alles auflistet, was es an Beschränkungen gibt. Dieser Stufenplan von Beschränkungen und Lockerungen soll der Bevölkerung und der Wirtschaft Planbarkeit bzw. Vorhersehbarkeit suggerieren. Dabei orientieren sich die möglichen Beschränkungen sowie ihre stufenweise Lockerungen am sog. 7-Tage-Inzidenzwert. Der ist uns ja mittlerweile durch die täglichen Nachrichten vertraut und man könnte natürlich denken, dass dies ein für das Ziel der Planbarkeit guter Indikator sei.

Ehrlich gesagt, ich halte das für wenig praktikabel. Und zwar aus mehreren Gründen. Da wäre zunächst die Kommunikation dieses umfassenden Plans. Ein Teil der Bevölkerung mag ihn sich vielleicht sogar in der Küche oder im Flur aufhängen, um nach der Recherche der aktuellen Inzidenzwerte abzugleichen, wann was geht oder nicht geht. Ein anderer Teil aber vermutlich nicht. Im Grunde erfährt man durch den Plan auch nicht viel mehr bzw. viel früher, was auf einen zukommen kann als durch die Medien.

Der andere Grund liegt beim Virus selbst. Mutationen waren durchaus zu erwarten, aber welcher Art sie sein werden, kann nicht genau vorausgesagt werden. Dass ein ohnehin schon sehr ansteckendes Virus noch ansteckender wird, dürfte eigentlich keine große Überraschung sein. Aber wieviel ansteckender und vielleicht auch noch gefährlicher es wird, zeigt sich erst, wenn es passiert ist. Ist ein Virus ansteckender, geht auch den Inzidenzwerten ihre Aussagekraft verloren, denn sie müssten – entsprechend des aktuellen R-Wertes – angepasst werden. Was könnte man dann aus einem Stufenkonzept, das sich an statischen Inzidenzwerten orientiert, noch herauslesen?

Mit anderen Worten: Corona ist nicht gleich Corona. Dieses gutgemeinte Stufenkonzept läuft dadurch Gefahr, bei seiner Verabschiedung schon obsolet geworden zu sein. Daher kann es die erhoffte Perspektive gar nicht bieten.

Herr Czaja, Sie nennen die Änderung der Parameter, die Änderung der »Spielregeln«, die „einseitige Kündigung von Verträgen“ und ähnliches – das ist doch wirklich ein Hohn!

Wir kämpfen hier gemeinsam gegen eine Pandemie, und Sie gehen hier leichtfertig damit vor, dass wir uns doch „an Verträge halten“ sollen, die eben das Virus außer Acht lassen.

Wir haben durchaus die Interessen der Unternehmen und der Beschäftigten im Fokus – das können Sie ohne weiteres glauben. Aber wir können doch nicht das Leben von Menschen aufs Spiel  setzen und die Pandemie verantwortungslos entgleiten lassen!

Wir sind auf einem guten Wege, die Inzidenzen sinken, aber hektische Öffnungsschritte, die vielleicht schon nächste Woche wieder zurückgenommen werden müssen, helfen niemandem – am wenigsten den Unternehmen. Die größte Chance und damit beste Perspektive, die wir derzeit haben, ist Durchimpfen und noch etwas Durchhalten.

Ich danke für die Aufmerksamkeit!

 

Eine Aufzeichnung des Redebeitrags kann in der Mediathek des rbb hier abgerufen werden.